Schwerin/Berlin (DAV). Nur noch wenige Tage bis zum Volksentscheid, der über die Zukunft der Justiz in Mecklenburg-Vorpommern entscheiden wird. Die Landesregierung versucht, die Argumente gegen die massenhaften Amtsgerichts-Schließungen kleinzureden. Wir glauben dennoch, dass die Argumente für ein „Ja“ zum „Stopp der Reform“ richtig und wichtig sind:
Das Einsparpotential ist verschwindend gering
Laut Gesetzentwurf (Seite 80 der Begründung) rechnet die Landesregierung mit 33.000.633,00 Euro in 25 (!) Jahren. Rechnet man das um, bedeuten dies Einsparungen in Höhe von 1,4 Mio. Euro/Jahr. Das sind – verglichen mit dem Justizhaushalt 2013 – nur 0,45 % der Gesamtausgaben für die Justiz und – verglichen mit dem Gesamthaushalt des Landes im Jahr 2014 – lediglich 0,019 % der Gesamtausgaben des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
Wenn es rechtlich „brennt“ brauchen Sie Gerichte – ebenso wie Sie die Feuerwehr bei Feuer brauchen
Für den Fall, dass es brennt, braucht man die Feuerwehr. Niemand würde auf die Idee kommen, sie abzuschaffen, nur weil es lange nicht gebrannt hat. Mit Gerichten ist es ebenso. Juristische Auseinandersetzung können ebenso plötzlich eintreten - eine ungerechtfertigte Mieterhöhung, ein falsches Knöllchen oder eine falsche Unterhalts- oder Schadensersatzforderung. Dann ist guter Rat nicht nur teuer, sondern auch weit weg.
60 bis 120 km lange Wege zum Gericht – mit öffentlichen Verkehrsmitteln teilweise gar nicht mehr an einem Tag zu schaffen
Etwa 30 % der Einwohner des Landes Mecklenburg-Vorpommern müssten künftig mehr als 60 km zurücklegen, um zu ihrem zuständigen Amtsgericht zu kommen (463.742 Einwohner). Für mehr als 50.000 Einwohner (53.430 Einwohner) beträgt die Entfernung sogar mehr als 120 km.
Denn nach der Reform werden die vier bundesweit flächenmäßig größten Amtsgerichtsbezirke in Mecklenburg-Vorpommern liegen:
AG Ludwigslust mit 4.334,75 km² (das 7,9 fache des derzeitigen Bundesdurchschnitts), AG Stralsund mit 3.207,11 km² (das 5,9 des derzeitigen Bundesdurchschnitts), AG Neubrandenburg mit 2.859,79 km² (das 5,2 fache derzeitigen Bundesdurchschnitts)
- AG Waren mit 2.610,39 km² (das ist das 4,8 fache des derzeitigen Bundesdurchschnitts).
Derzeit umfasst der flächenmäßig größte Zuständigkeitsbereich eines Amtsgerichts in der Bundesrepublik 2.508,00 km². Es handelt sich um das Amtsgericht Neuruppin (Brandenburg).
Durch Gerichtsschließungen werden die Rechtsstreitigkeiten nicht weniger
… sondern nur die Wege länger und damit die Fahrtkosten höher.
Rückzug der Amtsgerichte bedeutet auch weniger Rechtsrat für die Bürger
Wenn die Gerichte massenhaft geschlossen werden, müssen irgendwann auch die Anwälte gehen. In weiten Teilen des Landes Mecklenburg-Vorpommern werden Bürgerinnen und Bürger dann nicht mehr in gleicher Weise Rechtsrat einholen können wie bisher und alleine dastehen.
Die Zweigstellen helfen nicht, da sie nicht für alles zuständig sind!
Der Begriff Zweigstelle vermittelt den Eindruck, dass dort - ebenso wie im Amtsgericht - alle notwendigen Leistungen verfügbar sind. Der Eindruck täuscht. Bis auf die Zweigstelle Bergen wird keine der Zweigstellen mehr alles bieten. Nur noch Bergen soll Zivilsachen, Familiensachen, Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht entscheiden. Ansonsten müssen Sie für Ihre Knöllchen, Unterhalts- oder Mietstreitigkeiten fast immer zum Amtsgericht. Besonders verwirrend: In jeder Zweigstelle wird es anders sein! Brisant ist außerdem, dass die Landesregierung weiterhin Zweigstellen schafft, obwohl die Zuständigkeitsregelungen in der Zweigstellen-Verordnung M-V laut Oberverwaltungsgericht seit 2. Juni 2015 unwirksam sind!
Zehn Richter pro Gericht müssen nicht sein – 2/3 aller Amtsgerichte in der Bundesrepublik sind kleiner und trotzdem effizient
Die Zahl 10 ist willkürlich. Die Wirklichkeit in der Bundesrepublik sieht anders aus: 63 % aller Amtsgerichte in der Bundesrepublik haben 9 oder weniger Richterstellen. Knapp 1/3 aller Amtsgerichte in der gesamten Bundesrepublik haben fünf oder weniger Richterstellen (Errechnet aus: dem „Handbuch der Justiz, 30. Jahrgang, 2010-2011“, Ansprechpartner: Rechtsanwalt Klaus Nicolai, info@nicolai-pp.de).
Laut Gesetzentwurf (S. 56 der Begründung) ist die Landesregierung im Jahr 1998 noch selber davon ausgegangen, dass eine Größe von 5 – 8 Richtern vertretbar ist (Entwurf eines Gesetzes über kostensenkende Strukturmaßnahmen in Mecklenburg-Vorpommern, LT-Drs.2/2357, S.11).
Landesregierung gibt Standortförderung auf
Die Landesregierung begründet die Gerichtsschließungen auch damit, dass sie Probleme bei der Nachwuchsgewinnung habe. Zitat aus dem Gesetzentwurf (Seite S. 54 der Begründung): „Attraktive Standorte haben für die Nachwuchsgewinnung erhebliche Bedeutung“. Das heißt also, dass alle Gebiete, in denen die Amtsgerichte geschlossen werden, aus Sicht der Landesregierung unattraktiv und nicht wert sind, strukturell gefördert zu werden.
Weitere Dokumente:
http://gerichtsstruktur-mv.de/gerichtsstruktur.php Sachverständigen-Unterlagen zur Öffentlichen Anhörung am 16. April 2015 vor dem Europa- und Rechtsausschuss des Landtags (dort zur 2. Meldung runterscrollen)
Zweigstellen-Verordnung M-V (§§ 1 und 2
laut Oberverwaltungsgericht M-V unwirksam)
Filmbericht über die DAV-Pressekonferenz am 25. August 2015
DAV-Pressemitteilung Nr. 31/15 vom 25. August 2015
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